„Polizisten sind keine Arschlöcher“: Was ein Beamter auf Streife in der Eisenbahnstraße erlebt

In der Leipziger Eisenbahnstraße fühlen sich die Menschen seit Einführung der Waffenverbotszone stigmatsiert, die Polizei wird als martialisch und unnahbar wahrgenommen. Oberkommissar Sören Hoffmann will das ändern. Wir haben ihn bei einer Streife durch den Kiez begleitet.

Wenn Sören Hoffmann über die Eisenbahnstraße läuft, dann ist er es gewohnt, dass die Menschen ihm hinterherschauen. Meistens interessiert, manchmal misstrauisch, selten feindselig. Passiert sei ihm noch nie etwas, sagt er. Doch als er an diesem Dienstagabend durch sein Viertel läuft, fliegt plötzlich eine halb volle Cola-Flasche mit Karacho vor seine Füße. Woher sie kommt, wer sie geworfen hat, ist unklar. Dafür ging alles zu schnell. Aber Sören Hoffmann ist sicher: Der Angriff galt ihm: „Da ist irgendjemand genervt“, sagt der 45-Jährige.

Sören Hoffmann ist Polizist. Seine Kollegen kurven in Kleinbussen durch die Straßen, stehen bei Razzien mit Sturmmaske vor Spiel-Cafés, die Waffe im Anschlag. Sören Hoffmann ist zu Fuß unterwegs, unter der Stichschutzweste trägt er Hemd und Krawatte. Der Leipziger soll mit den Menschen ins Gespräch kommen, Vertrauen aufbauen in die Polizei, in den Staat – in einem Viertel, das als hippe Wohngegend gilt, aber eben auch Kriminalitätsschwerpunkt ist.

Anwohner der Eisenbahnstraße fühlen sich stigmatisiert

Schwere Gewalttaten, aber vor allem Drogenhandel und Diebstähle sind ein Problem. Die Waffenverbotszone hat das Sicherheitsgefühl der Menschen nicht erhöht, sie fühlen sich vor allem stigmatisiert. Die Polizei wird als unnahbar und martialisch wahrgenommen. Manche empfinden ihre bloße Präsenz als Bedrohung.

Wie will einer wie Sören Hoffmann dagegen ankommen? Um das herauszufinden, muss man ihn bei einem seiner Einsätze begleiten.

Schwanenteich: „Bitte nicht füttern“

Sören Hoffmann läuft seit sechs Jahren Streife in seinem Revier. Seine Route beginnt an der Wache in der Ritterstraße. Am Schwanenteich muss der Polizeioberkommissar zum ersten Mal einschreiten. Eine Oma und ihr Enkel werfen Enten Haferflocken zu. „Die finden auch so genug“, sagt Sören Hoffmann, „bitte nicht füttern.“ Haferflocken hätten viele Nährstoffe, die so einen Teich umkippen lassen. Sören Hoffmann weiß das, er angelt gern.

Am Friedrich-List-Platz freut sich eine Dame, den Polizisten zu sehen. Ein paar Meter weiter wird Sören Hoffmann laut. Auf dem Radweg steht ein Auto. Der Fahrer streitet mit einem Mann auf einem E-Bike. „Ey“, brüllt Sören Hoffmann, rennt über die Straße. Die beiden zucken zusammen. Der Fahrer des VW erklärt in gebrochenem Deutsch, dass das Auto kaputt sei. Zum Beweis dreht er den Zündschlüssel. Der VW macht erst keinen Mucks, springt dann doch noch an. Sören Hoffmann zückt sein Notizbuch, schreibt sich das Kennzeichen auf. Später im Büro will er prüfen, ob der Mann schon mal aufgefallen ist. Wenn ja, gibt es eine Anzeige – wegen Blockierens des Radweges. Sören Hoffmann wünscht gute Fahrt und läuft weiter.

Bei Kindern versteht der Oberkommissar keinen Spaß

In der Eisenbahnstraße ist an diesem Herbstabend einiges los, die Supermärkte und Restaurants sind voll. Der Bürger Sören Hoffmann geht selbst gern im Viertel einkaufen und essen. Er weiß, wo das Gemüse frisch, das afghanische Essen besonders gut ist. Der Polizist Sören Hoffmann muss sich jetzt um die typischen Alltagsprobleme im Viertel kümmern: Autos, die halb auf der Kreuzung stehen oder quer in der Parklücke. Lieferwagen, die den Fahrradstreifen blockieren. Sören Hoffmann macht Fotos, hört sich die Entschuldigungen von herbeieilenden Fahrern an: Der Platz reiche nicht aus. Man habe nur kurz etwas holen wollen. Der Polizist begegnet all dem mit freundlicher Strenge, lässt sich Führerschein und Fahrzeugpapiere zeigen, bittet darum, wegzufahren.

Eigentlich gehen die Bürgerpolizisten meist in Zweier-Teams. Sören Hoffmann ist gern allein unterwegs. Er kommt dann nicht ins Quatschen mit den Kollegen, hat alles im Blick. Etwa den silbernen Wagen, der in die Eisenbahnstraße einbiegen will. Darin ein Mädchen ohne Kindersitz. „So fahren Sie nicht weiter“, sagt Sören Hoffmann durch das heruntergekurbelte Fenster. Am Steuer sitzt die Oma. Der Vater des Mädchens kommt dazu. Sören Hoffmann fragt ihn, wie viele Kinder er hat. „Zwei? Wenn die Oma so weiterfährt und bremst, dann haben sie nur noch eins.“ Bei Kindern versteht Sören Hoffmann keinen Spaß.

Mit denen reden, die etwas falsch machen

Der Bürgerpolizist findet kaum eine ruhige Minute: Er stellt sich Fahrradfahrern in den Weg, die rote Ampeln ignorieren, mit dem Handy spielen oder kein Licht haben. Er versucht, den Besitzer eines Hängers ausfindig zu machen, der einen Parkplatz blockiert. Nach anderthalb Stunden wird klar: Geredet wird hier vor allem mit denen, die etwas falsch machen. Die Herkunft spielt dabei keine Rolle. Manche reagieren verärgert, genervt. Anderen ist es ein bisschen peinlich, dass sie in aller Öffentlichkeit angezählt werden. Und trotzdem glaubt Sören Hoffmann, dass er genau so etwas verändern kann.

„Polizisten sind keine Arschlöcher – das ist der Eindruck, den ich durch mein Auftreten hinterlassen will“, sagt Sören Hoffmann. Nicht jeder, den er an diesem Abend rauszieht, bekommt gleich eine Strafe. Sören Hoffmann lässt auch mit sich reden: Einer jungen Frau mit defekter Fahrradbremse schlägt er einen Deal vor: In einer Woche schickt sie ihm per E-Mail ein Foto von ihrem reparierten Holland-Rad und es bleibt bei der Verwarnung. „Reichen auch zwei Wochen?“, fragt sie. Sören Hoffmann sagt ja. Aber ist das die Bürgernähe, die sich laut einer Studie so viele Menschen im Viertel wünschen?

„Die Arbeit hier vor Ort ist Beziehungsarbeit“

Um diese Frage zu beantworten, muss man die Eisenbahnstraße verlassen und einen kurzen Abstecher ins Rabet machen. In dem kleinen Park kann man Beachvolleyball und Fußball spielen, grillen – und Drogen kaufen. Ihre Ware verstecken die Dealer in den Büschen. Das weiß die Polizei, das wissen auch Reinhard Grütmacker und die Kinder und Jugendlichen, die er seit Jahren betreut. Reinhard Grütmacker leitet den Offenen Freizeitreff im Rabet.

Ein paar Jungen zocken auf einer Spielekonsole, es riecht nach Lack von Graffiti-Spraydosen. Reinhard Grütmacker sieht Sören Hoffmann und seine Kollegen oft, wenn sie Streife laufen. Er weiß auch, dass er sie jederzeit anrufen kann, wenn etwas sein sollte. „Die Arbeit hier vor Ort ist Beziehungsarbeit“, sagt der Sozialarbeiter. Deswegen schätzt er die Bürgerpolizisten. Aber deren Fokus auf reine Kontrolle, der reicht Reinhard Grütmacker nicht aus. „Ich würde mir wünschen, dass sie mehr ins Gespräch kommen.“ Man müsse vor allem bei den Kindern und Jugendlichen Vertrauen aufbauen. „Sie sollten das Gefühl haben: Zu dem kann ich gehen, der hilft mir.“ So sieht das zumindest Reinhard Grütmacker.

Bekommt die Polizei bald eine Wache im Viertel?

Trägt man Sören Hoffmann die Bitte vor, dann sagt er, dass eine solche Vertrauensbasis natürlich wichtig sei, man deswegen auch mit den Schulen zusammenarbeite: „Aber ich bin kein Sozialarbeiter.“ In einem anderen Punkt ist sich Sören Hoffmann mit Reinhard Grütmacker jedoch einig: dass die Polizei im Viertel endlich ihren eigenen Posten bekommen soll. Ein entsprechendes Objekt gibt es längst: ein ehemaliger Supermarkt direkt an der Eisenbahnstraße. Doch die Verhandlungen mit den Vermietern dauern schon Monate und im Viertel formiert sich der Widerstand. Immer wieder greifen Linksextreme das Gebäude an. Die Fensterscheiben sind zerschlagen.

Für Sören Hoffmann sind die, die Stimmung machen, eine Minderheit. Das mag sein. Aber diese Minderheit könnte der Grund sein, warum er nicht wie geplant schon dieses Jahr in die Wache ziehen kann, warum an diesem Abend die halbvolle Cola-Flasche geflogen kam. Sören Hoffmann trägt sie, in Plastik verpackt, in der Hosentasche. Er will sich am nächsten Tag um die Spurensicherung kümmern. Jetzt hat er erst mal Feierabend.